Vanished Twin, Fehlgeburt, Sternenkinder - emotionale Spuren im Familiensystem

von Claudia Stadler

Ein stiller Abschied vor Lebensbeginn: Vanished Twins, Fehlgeburten und Sternenkinder hinterlassen emotionale Spuren im Familiensystem

Ein Besuch in der Pathologie Schwabing ließ mich kürzlich vor einem Exponat verweilen. Ausgestellt war ein Querschnitt mit einer Gewebewucherung aus dem Bauchraum einer etwa 40-jährigen Frau, in dem merkwürdigerweise Schilddrüsengewebe verwachsen war. Ich fragte nach und erhielt die Auskunft, dass dies wohl ein Relikt aus den ersten Lebenswochen der Frau als Fötus im Mutterleib war.

Es habe wohl zu der Zeit einen zweiten Fötus gegeben, der in den ersten Schwangerschaftswochen abgestorben war, aber nicht vollständig resorbiert wurde. So verblieb etwas Schilddrüsengewebe in den Unterleibsorganen des wachsenden, verbleibenden Fötus übrig, das man dann 40 Jahre später bei der Unterleibsoperation der Frau als Zufallsbefund entdeckte. Ein Relikt eines sogenannten Vanished Twins - zu deutsch: der verschwundene Zwilling.

Natürliche Auslese in den ersten Schwangerschaftswochen
Auf der Suche nach wissenschaftlichem Material stieß ich nur auf ein paar wissenschaftliche Quellen, aber einen insgesamt überschaubaren Forschungsstand. Dazu viele alternativ-medizinische, teils esoterisch anmutende Seiten.

In einem Artikel in „Die Welt“ von Elke Bodderas (2009) heißt es „Jedes Jahr kommen in Deutschland 10.000 Babys mit einem Zwillingsbruder oder -schwesterchen zur Welt. Doch fast doppelt so hoch ist die Zahl derer, die einen Zwilling haben, ohne es zu wissen.“ Als Gründe für dieses Phänomen werden z.B. genetische Defekte, Versorgungsprobleme im Mutterleib, Missbildungen usw. vermutet.

Im Ärzteblatt 2010 heißt es kurz: „Das physiologische Verschwinden eines Embryos oder früher Feten aus einer Mehrlingsschwangerschaft (vanished twin) führt zur Resorption, einem leeren Fruchtsack oder einem Fetus papyraceus. Klinisch fällt dieser Prozess in der Regel einzig durch eine Blutung ex utero auf…“ Ein Fetus papyraceus ist ein mumifizierter und abgekapselter Fötus, der dann später gelegentlich bei der Geburt des verbleibenden Kindes in der Plazenta entdeckt wird.

Medizinische Abgrenzung: Tod im Mutterleib
Heißt im Umkehrschluss: ab der 6. bis 8. Schwangerschaftswoche ist die Herzaktivität beim Embryo bereits ausgebildet – er wird ab der 9. Woche zum Fötus mit ersten, lebenswichtigen Grundfunktionen. Erst ab der 23. Woche etwa gilt ein Ungeborenes als überlebensfähig.

Bis zum dritten Schwangerschaftsmonat gilt die Vermutung, dass diese frühen, natürlichen Abbrüche vom Körper der Mutter weitgehend selbst reguliert werden können.
Ein Absterben bzw. Abbruch der Schwangerschaft ab der 24. Woche wird als Fehlgeburt bezeichnet. Verstirbt ein Kind um den geplanten Geburtszeitpunkt und wird tot geboren, spricht man medizinisch von einer Totgeburt. Mittlerweile ist aber der Begriff „Sternenkind“ synonym geläufig.

Die psychologische Seite: Emotionale Bindung ist in jeder Phase ein wichtiger Faktor – Trauerarbeit macht die Neuorientierung in der Zukunft frei
Gerade in diesen Begriffen spiegelt sich der gewandelte Blick auf die emotionale Bindung zum ungeborenen Leben - abseits von der medizinischen Einordnung.
Das Abschiednehmen und die Trauerarbeit um ein verlorenes Familienmitglied, das nicht in der Familie ankommen konnte, sind wichtig für die Hinterbliebenen. Denn derartige Ereignisse sind untypisch für unser Lebensverständnis: es ist ein Abschiednehmen von einem kleinen Wesen, mit dem es keine gemeinsame Vergangenheit oder Gegenwart gab. Jegliche Zukunftsplanung und die Vorfreude auf das neue Familienmitglied finden ein abruptes Ende.

Hier sind die Fragen nach dem Sinn und Warum besonders intensiv. Damit der unsagbare Verlustschmerz entsprechend Raum finden kann, ist eine Trauerphase besonders wichtig. Und zwar gemeinsam als Paar oder als Familie, v.a. wenn es bereits größere Geschwister gibt.
Damit in Zukunft wieder eine gemeinsame Neuausrichtung im Leben stattfinden kann, mit der Erinnerung an das tot geborene Familienmitglied. Hier gibt es auch seitens der Krankenhäuser,  Ärzte,  Hebammen oder gemeinnütziger Vereine mittlerweile mehr Unterstützung als noch vor einigen Jahren.

Überlebende Zwillinge – diffuse Symptome
Trauerarbeit kann v.a. bei einem überlebenden Zwilling im Falle eines vanished twins schwieriger sein, da oftmals über das Ursprungsereignis kein bewusstes Wissen vorliegt, aber möglicherweise unerklärliche Symptome auftreten. Dies können z.B. Gefühle der Nicht-Zugehörigkeit, der Einsamkeit, des Verlassenseins oder einer subtilen Trauer sein, für die es keinen bekannten Anlass gibt.

Denn wie oben beschrieben, sind Herzschlag und Kernfunktionen früh in den ersten Lebenswochen im Mutterleib ausgebildet und erste Wahrnehmungen finden statt. Daher ist anzunehmen, dass es Wahrnehmungen gibt vom Überlebenden, wenn ein angelegter Zwillingsteil sich verabschiedet. Ein Abschiedsritual in Form einer Bestattung sowie eine Trauerphase sind zu diesem frühen Zeitpunkt aber nicht möglich. Was bleiben kann, sind emotionale Spuren…

Folgen von nicht geleisteter Trauerarbeit als Spur im Familiensystem
Findet eine Trauerarbeit nicht ausreichend statt, können auch Monate oder Jahre später noch diffuse Anzeichen z.B. von Wut, Scham, Schuldgefühlen, Versagensängsten, Unzulänglichkeit, verhinderter Lebensfreude, Bindungsproblemen oder Misserfolgen im Familiensystem Spuren zeigen. Ich betone ausdrücklich, dass Trauerarbeit immer individuell ist, ich hier aber geläufige Muster benenne aus der Sicht meiner Praxiserfahrung.

Verlusterlebnisse in Form von Fehlgeburten oder Sternenkindern können möglicherweise über Generationen hinweg eine Spur legen, wenn derartige Ereignisse beispielsweise verschwiegen wurden. Ebenso können auch bewusst unternommene Schwangerschaftsabbrüche, auch wenn sie schon Jahre her sind, ähnliche Spuren auf psychologischer Ebene bei den Hinterbliebenen verursachen.

Die sozio-kulturelle Einordnung: Ungeborene werden zu Ahnen mit Erinnerungswert
Auch ungeborene Verstorbene haben im genetischen Ahnensystem einen systemischen Platz. Und nur mit dem richtigen Gedenkplatz für die Toten im Familiensystem kann sich die Lebensfreude und Energie bei den Lebenden voll im Hier und Jetzt entfalten. Das ist Teil unserer sozio-kulturellen Prägung.

In der medizinisch angewandten hypnotischen Trance kann bei derartigen, unfertigen Trauerprozessen rund um Verlustthemen von Ungeborenen ursächlich unterstützt und nachbearbeitet werden – auch wenn das Ereignis schon lange zurück liegt. Weil die emotionale Erinnerungsspur im Unbewussten wegweisend sein kann, sofern derartige Ereignisse aus Ihrer eigenen Zeit im Mutterleib bzw. aus dem Familiensystem für Sie relevant sind.

 

Quellen

Bildnachweis: privat

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